Eine Stadt ist ein lebendiges Gebilde und im ständigen Wandel. In Zürich-Altstetten hat in den 80er-Jahren eine Entwicklung ihren Anfang genommen, die wesentliche geprägt war vom Auszug verschiedener Gewerbe und Industriebetriebe; darunter auch die Labitzke Farben AG. Nach einer Fusion mit anderen Farbenunternehmen zur Trilacolor AG 1978 wurde die Produktion von Möbellacken nach Zofingen verlegt. In Altstetten wurden lediglich noch Buchdruck- und Offsetfarben hergestellt. Die nicht mehr benötigten Räume wurden ab 1982 an andere NutzerInnen vermietet. 1990 wurde das Gelände an den als Immo-König der Langstrasse bekannten Immobilienhändler verkauft, der die Fabrikräume als Zwischennutzung an Gewerbetreibende, Wohngemeinschaften und KünstlerInnen vermietete; später wurde es an ein grosses Immobilienunternehmen weiterverkauft.

Im Sinne einer Archäologie der Gegenwart untersucht die Publikation diese Zwischennutzungen des Labitzke-Areals in Zürich-Altstetten. Auf dem rund 10’000 Quadratmeter grossen Gelände der ehemaligen Farbenfabrik Labitzke siedelten sich während rund 25 Jahren Autowerkstätten, Migrationsvereine, Clubs, Wohngemeinschaften, eine Moschee und sogar ein Bordell an. Es entstand ein einzigartiger Ort, der zu einem gesellschaftlichen Labor für neue Formen des Zusammenlebens wurde. Nach dem Verkauf des Areals 2011 war es bis zur Räumung im Sommer 2014 ausserdem Schauplatz eines phasenweise heftigen Kampfs um städtischen Wohn- und Freiraum.

Das Buch ‹Labitzke Farben›, das kürzlich in der Edition Hochparterre erschienen ist, gibt die Innensicht der Autorin wieder, die als Bewohnerin des Areals einen privilegierten Zugang hatte. Diana Bärmann erzählt die Arealgeschichte vielstimmig mit einem detaillierten Faltplan, einer ‹Verdrängungskarte›, einer Interviewcollage, vielen Fotos und einer Sammlung mit Objektzeichnungen. Raffinierte Verweissysteme machen verschiedene Lektürewege möglich und verbinden Fotografie, Text, Zeichnung und Karte dieses Buchobjekts elegant miteinander.

Der Hauptteil des Buches besteht aus einem Text, der die Geschichte des Areals von den späten 1980er-Jahren bis zur turbulenten Räumung 2014 und den Folgen rekonstruiert. Gespräche mit ArealbenutzerInnen geben in Form einer Interviewcollage vertieften Einblick in das Leben und die zahlreichen Veränderungen während der Zwischennutzung.

Heute verfügt das Labitzke-Areal von rund 10’000 Quadratmetern über sieben öffentlich zugängliche Plätze; die 277 Mietwohnungen mit zwischen 1.5 bis 4.5 Zimmern sowie die Gewerberäumen und Büros der Siedlung sind auf insgesamt acht Gebäude von unterschiedlicher Höhe verteilt. Und die Ironie des Schicksals: War dereinst das Ende der vermeintlichen Wohnutopie auf dem Gelände von heftigen Unruhen begleitet, so war auch der Bezug der Wohnungen durch die Mieterinnen und Mieter von negativen Schlagzeilen begleitet: aufgrund fehlender Einzugsbewilligungen verzögerte sich dieser nämlich im März 2018 kurzfristig um mehrere Wochen. Die Mieterinnen und Mieter wurden in der Zwischenzeit in Hotels untergebracht.

Angaben zum Buch

Labitzke Farben. Archäologische Untersuchung einer Stadtutopie

Autorin: Diana Bärmann, Gestaltung: Andreas Bertschi.

347 Seiten, rund 140 Fotos, Pläne, Grafiken und Zeichnungen.
Schweizer Broschur mit Faltplan zum Herausnehmen. 12,4 x 21,4 cm.

ISBN 978-3-909928-55-2. Fr. 39.– / € 35.–

Das Buch kann direkt beim Verlag Edition Hochparterre bestellt werden.