Wo Mode auf Interior Design trifft.

23.10.2025

Sie dauern kaum fünfzehn Minuten, aber ihre Bilder gehen um die Welt. Modeschauen sind ein mediales Spektakel, und in ihnen findet sich eine Vielzahl von Design-Aspekten – vom Textildesign, dem Sound, über die Bühnenarchitektur, die Szenografie, dem Lichtdesign bis zur Gestaltung der Einladungskarten. Diese Vielfalt ist einer der Gründe, weshalb sich das Vitra Design Museum entschieden hat, «Catwalk – The Art oft he Fashion Show» in Zusammenarbeit mit V&A Dundee, dem Schottischen Design Museum, zu realisieren. Entstanden ist eine faszinierende Ausstellung, welche die Geschichte und kulturelle Bedeutung der Modenschau beleuchtet, von ihren frühen Formen um 1900 bis heute. Sie versammelt Beispiele von Modehäusern wie Azzedine Alaïa, Balenciaga, Chanel, Dior, Gucci, Maison Martin Margiela, Prada, Viktor & Rolf, Louis Vuitton, Yohji Yamamoto und vielen anderen. Originale Kollektionsstücke, Film- und Fotomaterial, Bühnenobjekte und Einladungen machen über 100 Jahre Modegeschichte auf dem Laufsteg lebendig.

Die Modeschau als gestalterisches Gesamtkunstwerk

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Modenschau als gestalterisches Gesamtkunstwerk. Was einst als intime Präsentation in Pariser Salons begann, hat sich zu einem globalen Ereignis entwickelt, bei dem Architektur, Szenografie, Choreografie, Licht, Sound und Requisiten zu einem vielschichtigen Erzählraum verschmelzen.

Die Ausstellung besteht aus vier epochentypisch gestalteten Räumen, die zentrale Etappen der Modenschau nachzeichnen – vom Couture-Salon über experimentelle Prêt-à-Porter-Formate und den klassischen Catwalk bis hin zu digitalen Performances der Gegenwart. Dabei wird deutlich, dass sich in Modenschauen immer auch Körperbilder und gesellschaftliche Veränderungen spiegeln und es sich lohnt, nach den Motiven hinter den Schauen zu fragen: Welche Mythen, Werte und Träume werden verhandelt? Welche Geschichten werden erzählt, welche Machtstrukturen abgebildet? Was sagt eine Modenschau über die gezeigte Kollektion – und was über die Zeit, in der sie entsteht?

Vier Räume – vier Epochen

Der erste Raum zeigt die Anfänge der Modenschau im frühen 20. Jahrhundert, als Mode vor einer ausgewählten Kundschaft zumeist in Atelierhäusern vorgeführt wurde.

Installationsansicht Raum 1 von «Catwalk: The Art of the Fashion Show».
Quelle: © Vitra Design Museum, Foto: Bernhard Strauss

Anhand von Filmdokumenten und Ephemera werden die ProtagonistInnen dieser Zeit vorgestellt, zum Beispiel Charles Frederick Worth, der als einer der Ersten Mode nicht mehr an Puppen, sondern von realen Frauen vorfuhren liess. Lucile und Paul Poiret wiederum verknüpften die Präsentation von Mode mit Erzählungen, während Coco Chanel ihre Mannequins effektvoll über eine verspiegelte Treppe in den Salon hinabsteigen liess.

Defilee von Paul Poiret in seinem Garten in Paris, 1910.
Quelle: © Jean Sébastien Baschet, L’Illustration, Foto: Henri Manuel

Historische Aufnahmen dokumentieren frühe Modenschauen in Kaufhäusern der USA, bei Pferderennen sowie auf Ozeandampfern, die den bis heute gezeigten Cruise Collections ihren Namen gaben. Ein Höhepunkt dieser Zeit ist das so genannte Théâtre de la Mode, eine Wanderausstellung, die 1945 als Antwort auf die kriegsbedingte Krise der französischen Mode entstand. Über 40 Pariser Couturiers präsentierten darin Miniaturkollektionen auf kunstvollen Drahtpuppen in detailreichen Bühnenbildern. Mehrere originale Puppen aus dem Balenciaga-Archiv machen diesen legendären Neuanfang nach dem Krieg erlebbar, ergänzt um Filmaufnahmen des Fotografen Tom Kublin von frühen Balenciaga-Schauen der 1960er Jahre.

Der zweite Ausstellungsteil verfolgt die Zeit, als sich Modenschauen mit dem Erstarken der Prêt-à-Porter-Mode aus den Salons in die Stadt verlagern und mit Subkulturen zu verbinden beginnen.

Installationsansicht Raum 2 von «Catwalk: The Art of the Fashion Show».
Quelle: © Vitra Design Museum, Foto: Bernhard Strauss

So lädt Chloé 1958 in den bekannten Künstlertreff Café de Flore, Designer wie Courrèges und Paco Rabanne experimentieren mit Raum und Bewegung, während Kenzo seine Schauen in Partys verwandelt. Legendär ist die so genannte »Battle of Versailles«, ein Modeduell zwischen französischen und US-amerikanischen DesignerInnen 1973, bei dem die AmerikanerInnen die bis dahin dominierende französische Haute Couture herausfordern und den internationalen Durchbruch der US-Mode markieren.

Schwarze Models wie Pat Cleveland verändern in dieser Zeit das Bild des Laufstegs, Modenschauen werden zu Performances und Zeichen des gesellschaftlichen Wandels. Auch die Einladungen zu Modenschauen gewinnen nun an Bedeutung und werden zum Teil der Inszenierung.

Mit dem Aufstieg der Supermodels in den 1990er-Jahren erreicht die Modenschau schliesslich globale Sichtbarkeit. Eine Versace-Schau (Herbst/Winter 1991/92), bei der Cindy Crawford, Naomi Campbell, Linda Evangelista und Christy Turlington gemeinsam George Michaels Hit Freedom singen, wird zum Sinnbild dieser Epoche.

Die Supermodels Linda Evangelista, Cindy Crawford, Naomi Campbell und Christy Turlington bei der Prêt-àporter-Schau von Versace, Herbst/Winter 1991/92, Mailand.
Quelle: © Shutterstock, Foto: Paul Massey

In Filmausschnitten wird sichtbar, welches neue Körperbild die vier Models prägen: kraftvoll, selbstbewusst und glamourös. Es gibt aber auch kritische Auseinandersetzungen mit der Kommerzialisierung und dem Erfolgsdruck der Modewelt: William Kleins Film «Who Are You, Polly Maggoo?» (1966) persifliert den Erfolg und die Konflikte eines amerikanischen Models, während die Performance «Models Never Talk» Models eine Stimme verleiht und sie von ihrem Gang und ihren Posen erzählen lässt.

Der dritte Ausstellungsbereich setzt um die Jahrtausendwende ein, als sich Modenschauen mit steigenden Budgets und der Macht von Konzernen wie LVMH und Kering zu medialen Grossereignissen entwickeln.

Installationsansicht Raum 3 von «Catwalk: The Art of the Fashion Show».
Quelle: © Vitra Design Museum, Foto: Bernhard Strauss

Karl Lagerfeld setzt mit Chanel neue Massstäbe, indem er das Pariser Grand Palais in spektakuläre Schauplätze verwandelt, vom detailgetreu inszenierten Supermarkt über einen Raketenstart bis zum Demonstrationszug auf einem nachgebauten Boulevard.

CHANEL, Prêt-à-porter, Herbst/Winter 2017/18.
Quelle: © Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn, 2025

Originale Requisiten und Architekturmodelle der Supermarkt-Schau (Herbst/Winter 2014/15) und der Raketen Schau (Herbst/Winter2018/19) verdeutlichen, wie opulent hier inszeniert wurde. Gleichzeitig setzen andere Designer auf radikale Dekonstruktion: Alexander McQueen lässt in seiner Show ein Kleid live besprühen. 

Alexander McQueen, Prêt-à-porter, Frühjahr/Sommer 1999, «N°13».
Quelle: © Robert Fairer

Viktor & Rolf kleiden in ihrer minimalistischen «Russian Doll»-Modenschau (Herbst/Winter 1999/2000) ein Model in insgesamt neun Kleiderschichten ein. Martin Margiela verlegt seine Präsentationen auf ein Parkdeck, ein leerstehendes Krankenhaus oder auf eine Brachfläche am Stadtrand. Seine Schauen sind Performances, die Spuren hinterlassen: ein Originalmodell aus der Frühjahrs-/Sommerpräsentation 2006 mit Farbspuren einer während der Schau geschmolzenen Halskette aus Eiswürfeln wird in der Ausstellung zu sehen sein, genauso wie ein Stoffteppich, der farbige Schuhabdrücke der Models festhielt (Frühjahr/Sommer 1989).

Der vierte Raum thematisiert die Entwicklung der Modenschau in der jüngsten Vergangenheit. Schon vor 2020 wurden Modenschauen immer stärker auf ihre Wirkung im digitalen Raum hin inszeniert.

Installationsansicht Raum 4 von «Catwalk: The Art of the Fashion Show».
Quelle: © Vitra Design Museum, Foto: Bernhard Strauss

Mit der COVID-Pandemie steigt die Zahl der hybriden und rein digitalen Formate rasant an: Dior zeigt in dem Kurzfilm «The Dior Myth» eine Miniaturkollektion in einem Puppenhaus (Herbst/Winter 2020), Loewe verschickt eine «Show in a Box» (Frühjahr/Sommer 2021) und Balenciaga produziert gemeinsam mit Matt Groening eine Simpsons-Folge (Frühjahr/Sommer 2022), in der die Charaktere der Serie eine Modenschau laufen. Auch KünstlerInnen und ChoreographInnen werden immer häufiger in die Gestaltung von Modenschauen einbezogen: Bei Issey Miyake werden «One Minute Sculptures» von Erwin Wurm aufgeführt (Frühjahr/Sommer 2025), während Sharon Eyal begleitend zu einer Schau von Dior eine Tanzperformance (Frühjahr/Sommer 2019) konzipierte.

Der Bezug zur Architektur

Die enge Verbindung des Mediums Modenschau mit der Architektur präsentiert die Ausstellung unter anderem anhand der seit über 25 Jahren währenden Zusammenarbeit zwischen Rem Koolhaas‘ Studio OMA und Prada. Auch zu sehen ist eine Skyline-Jacke, die Virgil Abloh nach dem Vorbild bekannter Hochhäuser schuf. Sie wurde ursprünglich während der Louis Vuitton Menswear Präsentation für Herbst/Winter 2021/22 in einem von Mies van der Rohe inspirierten Setting gezeigt.

Praktische Informationen

Die Ausstellung im Vitra Design Museum an der Charles-Eames-Str. 2 in D-79576 Weil am Rhein dauert noch bis am 15. Februar 2026. Sie ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet; am 24. Dezember von 10 bis 14 Uhr.

Der Besuch von «Catwalk» kann kombiniert werden mit der Ausstellung «Science Fiction Design. Vom Space Age zum Metaverse» sowie der Ausstellung über den amerikanischen Architekten Barragán, beide im Vitra-Schaudepot. Die Interior-Design-Ausstellung im Vitra Haus von Herzog & de Meuron lässt Sie anhand von Möbelarrangements in unterschiedlichen Stilrichtungen die grossen Klassiker von Vitra und die neusten Entwürfe zeitgenössischer Designer erleben.

Begleitend zur Ausstellung ist ein reich bebilderter, 300-seitiger Katalog erschienen, der als A–Z der Modenschau konzipiert ist. Darin kommen ProtagonistInnen wie das Model Małgosia Bela, Sound Supervisor Michel Gaubert oder Einkäufer Andreas Murkudis sowie Expertinnen wie Caroline Evans, Cathy Horyn, und Valerie Steele zu Wort.